crafted in April 201

... im Süden von Wien. In einer relativ wenig spektakulären Ecke von Favoriten. Es war der 22.Mai 1969. Der Tag, an dem ich geboren wurde - gemäß dem Motto meiner Geburtstagsfeier:


Was, wie jetzt? Eine Stadt? Noch dazu wenig spektakulär? War da auf der Einladung nicht gerade noch die Rede von einer Galaxis? Nun, stimmt. Doch für einen Neugeborenen muß selbst so eine Stadt wie eine ganze Galaxis wirken. Und Hand auf's Herz: Genau genommen befindet sich diese auch auf einem Planeten in einem Sonnensystem, welches sich wiederum in einer Galaxis befindet - also paßt eh wieder alles. Aber wo war ich stehen geblieben?
Genau, ... Wien, die Stadt, in der ich das Licht der Welt erblickte. 

Eine Stadt, die sich nach und nach in den folgenden Jahren und Jahrzehnten gleichermaßen wunderbar erleben wie auch wunderbar entdecken ließ. Eine Stadt mit unendlich vielen Möglichkeiten - kurz: eine Stadt, groß genug für mein ganzes Leben.
Nun sollte man glauben, daß ich nach der ersten Hälfte meines Lebens auch die Hälfte der Stadt wie meine Westentasche kenne? Ich glaube, es wäre ein wenig vermessen, wenn ich gerade das behaupten würde.

Das wäre, mit Verlaub, wohl eher unglaubwürdig und das ist auch nicht der Eindruck, den ihr von mir haben sollt.
Dann lieber den Eindruck, daß ich immer schon ein braves Kind war. Sogar besonders brav. So brav, daß ich bereits im stolzen Kindergarten-Alter eine spezielle Aufmerksamkeit vom Osterhasen bekam. Nein, nicht das, was alle anderen braven Kinder bekommen - wie etwa Ostereier und Schoko-Leckereien. Ich bekam einen Schuhkarton voller Erdäpfel! Stolz zeigte ich ihn meiner Mutter und überlegte schon, was man daraus gutes zum Essen zaubern konnte: Erdäpfelpüree, Petersil-Erdäpfel und sogar einen Erdäpfelsalat! Wesentlich mehr Abwechslung, als die ordinären Osternester mit ihren Eiern und Süßigkeiten hergaben. Die obendrein auch noch ungesund waren.
Ich war sehr zufrieden, denn wer bekommt schon sowas Gutes vom Osterhasen?
Doch nur die besonders braven Kinder.

Szenenwechsel:
Die Volksschule in der großen Stadt brachte viele Veränderungen, das beste daran waren die neuen Freunde. Schule ist ein notwendiges Übel, die Begeisterung dafür hielt sich dennoch in Grenzen. Beigetragen hat dazu auch die Klassenlehrerin, der ich jeden Sommer eine Ansichtskarte aus dem Urlaub schicken mußte. Nur um festzustellen, daß sie an unserem ersten Klassentreffen, ich war damals bereits 11 Jahre alt, sich nicht mehr an mich erinnerte und mich mit ernstem Gesicht fragte, wer ich denn sei. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte, so enttäuschte mich ihre Frage damals.
Oder war das nur ein perfider Rache-Akt, weil ihr unsere Postkarten nicht gefallen haben?
Im Endeffekt egal, ich habe daraus gelernt: In der Schule bist Du nur irgendeine Nummer.
Keinem meiner nachfolgenden Lehrer habe ich jemals wieder eine Postkarte gesendet.
Keinem einzigen.

Was dann auch mehr der Realität entsprach, weil ich niemanden kenne, der sonst noch einem seiner Lehrer Postkarten aus dem Urlaub gesendet hat. Maximal die Streber und die hätten es nie zugegeben, weil sie auch ohnehin schon einen schweren Stand in der Klassengemeinschaft hatten.

Also war alles in meiner schulischen Laufbahn nur schlecht?
Hm, tatsächlich klingt das so. Habe ich was vergessen?
Nein. Die Freunde habe ich doch schon erwähnt, oder?
Ja.
Also sonst war Schule doch schlecht?

Naja, das eine oder andere habe ich gelernt, was für mein bisheriges Leben dann doch ganz nützlich war. Die Programmierung von Turbo Pascal in der HTL, zum Beispiel. Leider nur ein Freifach, aber es zeigte meine eigentlichen Stärken 
Was (meistens) interessanter war als der trockene Lehrstoff waren die Pausengespräche ... manche Mitschüler meinten sogar, daß diese die wahre Daseinsberechtigung für die Schule darstellten! Zugegeben, man lernte vieles, das gar nicht auf dem Lehrplan stand und zur Abwechslung sogar interessant war.
So wie das Comic-Heft vom Schütz-Karli, das ich in der dritten Klasse wenigstens für ein paar Minuten in meine Finger bekam. Das Cover brannte sich förmlich ein und die Geschichte daran war einfach unglaublich - es war die Comic-Fassung von "Star Wars", dem

Das klang für unsere kleinen Ohren damals wesentlich verständlicher, denn von Englisch hatte bei uns damals niemand noch Ahnung. 
Die Figuren waren so ganz anders als in den Superhelden-Heften! Mich erinnerte Luke Skywalker mit seinem weißen Gewand an einen Judo-Kämpfer und der böse Darth Vader an einen Samurai. Das Schwarz-Weiß- bzw. Gut-Böse-Schema zog mich sofort in seinen Bann. Als ich dann erfuhr, daß es dazu auch den passenden Film in den Kinos spielte, wollte ich den natürlich uuuunbedingt sehen. Ein Blick ins Kino-Programm mit der Altersfreigabe von damals unglaublichen 12 Jahren und meine pazifistische Mutter machten alle meine Hoffnungen auf der Stelle zunichte, daß ich den Film auch tatsächlich sehen würde. Es gelang mir damals nicht einmal, das Comic-Heft zu kaufen. Wir bezogen unsere Comics zu der Zeit oft aus den Second-Hand-Tauschbörsen, weil sie dadurch einfach billiger waren. Und so schlief der Gedanke an Star Wars nach ein paar Monaten der Euphorie wieder nach und nach ein ...

Später im BRG IV sollte jedoch das Interesse erneut aufflammen!
Denn mit weit aufgerissenen, Augen starrte ich meinem Schulfreund Martin an, als er von einem neuen Star-Wars-Film erzählte. Tatsächlich? Es GAB eine Fortsetzung ? Fortsetzungen waren für die Art Filme, die ich im Kino bis dahin gesehen hatte - meistens waren es Disney-Zeichentrickfilme - einfach noch nicht üblich. Als er dann beinahe beiläufig hinzufügte, er werde sich den Film im Kino ansehen, war ich wie elektrisiert und wollte unbedingt mitgehen. Er zierte sich aber ein wenig und erzählte von der Altersfreigabe, die leider wieder mit 12 Jahren festgesetzt war. Wir waren damals beide 11, also noch immer zu jung. Aber egal, irgendwie würden wir da schon reinkommen, dachte ich. Wenn wir erst einmal bei der Kassa wären, würden sie uns doch nicht mehr wegschicken. Oder doch?
Das waren die Gedanken, die mich beschäftigten und so bemerkte ich gar nicht, daß die ganze Zeit über sehr unglücklich aussah und herumdruckste. Als er endlich meine Tagträume unterbrach, traf mich das wie ein Stein: Die Karten würde seine Tante kaufen und das wäre auch gleichzeitig sein Geburtstagsgeschenk von ihr. 
Peng. Das war deutlich - Kino, geschlossene Gesellschaft. Keine Schulfreunde erlaubt.. Also ein Abend, bei dem ich unerwünscht war ... und damit wieder nichts vom "Krieg der Sterne" sah.
Vorerst.

Ich kann mich noch gut erinnern, daß ich doch einige Tage sehr frustriert war. Die Situation erschien mir  hoffnungslos, denn mir fiel niemand ein, den ich darum bitten hätte können, mit mir ins Kino zu gehen. Meine Eltern interessierten sich nicht für "solche Filme" und damit war der mögliche Kreis meiner "Retter" schon ziemlich eingeschränkt. Selbst ins Kino zu gehen scheiterten an meinem fehlenden Mut und vor allem am Taschengeld. 
Das ich eigentlich ein Glückspilz war, den Film nicht zu sehen, war mir damals nicht bewußt und so war ich schon sehr bald wieder mit dem grauen Schul-Alltag mehr beschäftigt als mit Star Wars.
Leider.

Das mich irgendetwas an der Geschichte so faszinierte, daß es mich nie mehr ganz losgelassen hatte, merkte ich erst viel später.
Jahre später. An irgendeinem Nachmittag im Juni.
Ich las gerade die aktuelle, kleinformatige österreichische Tageszeitung, die meine Eltern damals abonniert hatten. Ein kleines Ritual, das nicht lange dauerte. Es war ja nicht soviel drin, das mich interessiert hätte. Da war die tägliche Karikatur auf der Seite 3, oft gemeinsam mit dem "Herrn Strudl", der oft lustige Reime zum aktuellen Tagesgeschehen machte und die ich oft nicht verstand, weil ich mich mit "aktuellen Tagesgeschehen" noch nicht belastete. Ein paar Seiten später kam dann das tägliche Nackedei auf der "Seite sex", wie sie unser Zeichen- und Werk-Professor im BRG IV, Prof. Friedrich Polakovics, treffend bezeichnete. Das die Dame fast nie auf der Seite 6 zu sehen war, war nebensächlich. Wir lachten trotzdem höflich über sein Witzerl. Er war ein Mann, mit dem man es sich nicht verscherzen wollte und so verhielten sich auch all jene, die näher mit ihm zu tun hatte. Bis auf Stefan Weber, Ex-Front-Mann der Kult-Band "Drahdiwaberl". Stefan Weber und mein Vater. Aber das war eine ganz andere Geschichte. 
Weiter ging's dann mit dem täglichen Horoskop, dem Kino-Programm - manchmal sogar mit den aktuellen Film-Tips von Frank Hoffmann, das war dann schon ein Highlight, vorbei am Suchbild, das angeblich von Hans Dichand selbst stammte bis hin zum Fernsehprogramm. Auch das war schnell durch, denn es gab für uns nur zwei Sender, die um Mitternacht den Betrieb einstellten, um dann um neun Uhr Vormittag am nächsten Tag ihre Prorgramm-Austrahlung wieder aufzunehemen.
Die Schule war im Juni damals - erstmalig - in den Modus "Projektwoche" versetzt worden. Eine sinnvolle Idee, denn nach der Notenschlußkonferenz blieb vom Unterricht, der meist als "Ausblick in das nächste Schuljahr" deklariert wurde, eh nichts mehr hängen. Vor allem, wenn man so wie ich schon wußte, daß dies der letzte Juni im BRG IV sein würde, da ich danach in die HTL wechseln würde. Objektiv gesehen war das diplomatisch die beste Lösung für einen Großteil unserer Klasse. Denn das letze Jahr in der Unterstufe war sehr bewegt gewesen, um es vorsichtig auszudrücken. 

Also saß ich da ganz entspannt an diesem Juni-Nachmittag und blätterte im gewohnten Tempo die elterliche Zeitung durch.  Karikatur, Strudl, Seite 6, Kino-Programm ...
Ich zuckte wie elektrisiert zusammen! WAS? DAS KANN NICHT SEIN!
Doch da stand: Kepler Kino - STAR WARS - Krieg der Sterne
Beginnzeiten waren um 11:00 vormittag und 14:00 und 17:00 am Nachmittag.
Reflexartig schlug ich die Zeitung zu, um das Datum zu kontrollieren - doch: das IST eine aktuelle Ausgabe! Dann muß da was anderes falsch sein ...
Ihr kennt das? Wenn man etwas sieht, was eigentlich zu schön ist, um wahr zu sein? Dann versucht das auf zur Vermeidung von Enttäuschung programmierte Gehirn einen Grund zu finden, warum das gar nicht wahr sein KANN. Es ratterte fieberhaft, aber mehr als "Druckfehler" oder "Falsches Kinoprogramm" fiel ihm nicht dazu ein.
Irgendwie waren meine Hände zittrig, die Knie waren weicher als sonst und der Puls schlug ein wenig schneller. Da stand noch immer: "Kepler Kino - STAR WARS" inmitten der vielen anderen Kinos und Filme. Ja, 1983 gab es tatsächlich noch viele kleinere Kinos in Wien. Vor der Zeit des Imperiums, äh der großen Filmverleih-Ketten. Das Kepler-Kino lag im Bezirk, direkt am Kepler-Platz, gleich neben dem Elektro-Köck in der Favoritner Fußgängerzone. Trotzdem war ich vorher noch nie dort gewesen, denn die Filme meiner Kindheit sahen wir meistens im Dido-Kino am Südtiroler Platz. Das Dido war das familientaugliche Kino, wo eben vorwiegend Disney-Filme gezeigt wurden. Das Kepler war das Kino der Kategorie "Mann, alleinstehend, sucht Film mit viel nackter weiblicher Haut für gewisse Minuten" und brachte oft abends einschlägige Filme für dieses Klientel.
Das war es auch, was mir daran komisch vorkam. Star Wars und Kepler-Kino paßten nach meiner Auffassung einfach nicht zusammen. Das klang viel mehr wie ein Lockangebot, um bei der Gelegenheit einem ahnungslosen Science Fiction Fans einen Pornofilm vorzusetzen.  Natürlich dachte ich mir damals nicht: "Pfui, schau, ein Porno-Kino, da gehen nur die schlimmen Männer hin, hihihi" - mit unseren gerade mal vierzehn Jahren hörte man das von den Schulfreunden, die schon ältere Brüder oder Schwestern hatten. Internet gab es damals nicht und so wurden solche Fakten auch nur leise raunend hinter vorgehaltener Hand weiter erzählt. Wie das dort wirklich ist, konnte sich keiner von uns auch nur annähernd vorstellen. Man hatte aber als Gerade-schon-so-Teenager schon so ein gewisses Gefühl, daß das  es etwas Unanständiges sein könnte und Kinder dort nichts zu suchen hatten. Wenigstens gilt das für brave Kinder und ich war ja ein solches.

WIRD FORTGESETZT ...

Geschichte

Dieser Junge ist unsere letzte Hoffnung.
Obi-Wan Kenobi